1 BGE 102 V 165 - Bundesgerichtsentscheid vom 11.10.1976

Entscheid des Bundesgerichts: 102 V 165 vom 11.10.1976

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Sachverhalt des Entscheids 102 V 165

Ein gesundheitlicher Schaden kann als Invalidität im Sinne des Gesetzes für die Unfall- und Krankenversicherung (IVG) angesehen werden, wenn er eine bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit verursacht. Dies liegt daran, dass der IVG-Begriff nicht den körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden an sich, sondern seine wirtschaftliche Auswirkung betrifft. Eine Erwerbsunfähigkeit ist längere Zeit dauernd, wenn sie eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 360 Tagen bewirkt und nach dieser Zeit weiterhin eine die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigende Behinderung zurücklässt.

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Details zum Bundesgerichtsentscheid von 11.10.1976

Dossiernummer:102 V 165
Datum:11.10.1976
Schlagwörter (i):ähig; Gesundheitsschaden; Erwerbsunfähigkeit; Invalidität; Urteil; Auswirkung; Arbeit; Versicherung; Sinne; Auswirkungen; Neurose; Gesundheitsschadens; Erwägungen; Krankheit; Unfall; Erwerbsfähigkeit; Gesundheitsschäden; Urteils; Masse; Neurosen; Urteilskopf; Auszug; Fabbri; Ausgleichskasse

Rechtsnormen:

BGE: 99 V 28, 98 V 169

Artikel: Art. 4 Abs. 1 IVG

Kommentar:
-

Entscheid des Bundesgerichts

Urteilskopf
102 V 165

39. Auszug aus dem Urteil vom 11. Oktober 1976 i.S. Fabbri gegen Ausgleichskasse der Schweizerischen Maschinen- und Metall-Industrie und Versicherungsgericht des Kantons Bern

Regeste
Art. 4 Abs. 1 IVG.
Begriff der Invalidität, insbesondere des geistigen Gesundheitsschadens.

Erwägungen ab Seite 166
BGE 102 V 165 S. 166
Aus den Erwägungen:
Nach Art. 4 Abs. 1 IVG gilt als Invalidität die durch einen körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden als Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall verursachte, voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit.
Gemäss dieser gesetzlichen Begriffsbestimmung ist Gegenstand der Versicherung nicht der körperliche oder geistige Gesundheitsschaden an sich, sondern seine wirtschaftliche Auswirkung, d.h. die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit. In diesem Sinne ist der - nach der Praxis für das ganze Sozialversicherungsrecht einheitliche (EVGE 1960 S. 251, 1967 S. 23; BGE 98 V 169) - Invaliditätsbegriff ein juristischer und kein medizinischer Begriff.
Eine Erwerbsunfähigkeit ist längere Zeit dauernd, wenn der sie auslösende Gesundheitsschaden eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 360 Tagen bewirkt und nach dieser Zeit weiterhin eine die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigende Behinderung zurücklässt. Gesundheitsschäden, welche nicht mindestens diese Auswirkungen haben (also auch nicht eine bleibende Erwerbsunfähigkeit bewirken), führen somit nicht zu einer Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG und gehören allenfalls in den Aufgabenbereich der Unfall- oder Krankenversicherung oder aber in den Rahmen des Risikos, dessen Tragung dem einzelnen zugemutet wird (in ZAK 1973 S. 648 veröffentlichte Erw. 2a des Urteils Sch. vom 21. März 1973 = BGE 99 V 28; vgl. auch ZAK 1973 S. 294 sowie das nicht veröffentlichte Urteil Bötschi vom 19. November 1975).
Zu den geistigen Gesundheitsschäden, welche in gleicher Weise wie die körperlichen eine Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG zu bewirken vermögen, gehören neben den eigentlichen Geisteskrankheiten auch seelische Abwegigkeiten mit Krankheitswert. Nicht als Auswirkungen einer krankhaften seelischen Verfassung und damit als IV-rechtlich nicht relevant gelten Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit, welche der Versicherte bei Aufbietung allen guten Willens,
BGE 102 V 165 S. 167
Arbeit in ausreichendem Masse zu verrichten, zu vermeiden vermöchte, wobei namentlich bei Psychopathen das Mass des Erforderlichen weitgehend objektiv bestimmt werden muss. Es ist somit festzustellen, ob und in welchem Masse ein Versicherter infolge seines geistigen Gesundheitsschadens auf dem ihm nach seinen Fähigkeiten offenstehenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein kann. Dabei kommt es darauf an, welche Tätigkeit ihm zugemutet werden darf. Zur Annahme einer durch einen geistigen Gesundheitsschaden verursachten Erwerbsunfähigkeit genügt es also nicht, dass der Versicherte nicht hinreichend erwerbstätig ist; entscheidend ist vielmehr, ob anzunehmen sei, die Verwertung der Arbeitsfähigkeit sei ihm sozial-praktisch nicht mehr zumutbar oder - als alternative Voraussetzung - sogar für die Gesellschaft untragbar.
Diese Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung für Psychopathien (EVGE 1961 S. 164 Erw. 3, 1963 S. 36 Erw. 3), psychische Fehlentwicklungen (EVGE 1961 S. 326 Erw. 3), Trunksucht (EVGE 1968 S. 278 Erw. 3a), suchtbedingten Missbrauch von Medikamenten (ZAK 1964 S. 122 Erw. 3), Rauschgiftsucht (BGE 99 V 28 Erw. 2) und für Neurosen (EVGE 1962 S. 34 Erw. 2, 1964 S. 157 Erw. 3 und 4). Hinsichtlich der Neurosen ist zu beachten, dass deren Auswirkungen unter Umständen dadurch behoben werden können, dass die Versicherungsleistungen abgelehnt oder - wo gesetzlich vorgesehen - durch eine Abfindung abgegolten werden, was zur Lösung der neurotischen Fixierung führt. Ist deshalb von der Verweigerung einer Invalidenrente wahrscheinlich zu erwarten, dass der Versicherte von den Folgen der Neurose befreit und wieder arbeitsfähig werde, so ist keine bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit vorhanden.

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